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1868 in Büdesheim (bei Bingen) † 1933 in Minusio (bei Locarno)
Leben und Werk
Die sprachliche Form
Die äußere Form der Lyrik von Stefan George fällt auf: keine Interpunktion,
eigenes Trennzeichen (Mittelpunkt), serifenlose Schrift, Großschreibung nur bei
Eigennamen. So schreibt er durchgängig - auch in Briefen, Aufsätzen und
Kommentaren. So weist er uns unmittelbar darauf hin, daß hinter Gedichten
nicht einfach Gefühle (bzw. Wahrnehmungen) stehen, die der Dichter der Welt
eingesteht. Sondern: Erfahrung, Gedanke, Verstand, Struktur. George hat sein
Empfinden hinter die Form seiner Texte gestellt.
Ich schrieb es auf nicht länger sei verhehlt
Was als gedanken ich nicht mehr verbanne
Was ich nicht sage
du nicht fühlst: uns fehlt
Bis an das glück noch eine weite spanne
Selbst eine "grosse traurigkeit" in seinem Innern entlockt diesem Dichter nicht
den Hauch einer Klage:
Ich lasse meine grosse traurigkeit
Dich falsch erraten um dich zu verschonen
Ich fühle hat die zeit uns kaum entzweit
So wirst du meinen traum nicht mehr bewohnen
George hat den schmerzhaften Prozess jedes Künstlers durchgemacht: den ganzen
Überraum seiner bis hier her gemachten Empfindungen, Gefühlen, Wahrnehmungen;
den logischen Schlüssen und sonstigen Synthesen auf ein transportables Maß
zurückzuschneiden. Er zog aus jenem ganz eigenen Dunst, der jeden umgibt und
täglich weiter wächst etwas Festes; etwas das er den Anderen zeigen kann.
Jeder wünscht sich das insgeheim zu können; den Künstlern gelingt es.
Der Geist und der Prophet
Mit dem Werk Der Stern des Bundes von 1914 erreicht Georges lyrische Form aus
strenger Struktur und gefassten Gedanken ihren Zenith:
Ich bin der Eine und bin Beide
Ich bin der zeuger bin der schoss
Ich bin der degen und die scheide
Ich bin das opfer bin der stoss
Ich bin die sicht und bin der seher
Ich bin der bogen bin der bolz
Ich bin der altar und der fleher
Ich bin das feuer und das holz
Ich bin der reiche bin der bare
Ich bin das zeichen bin der sinn
Ich bin der schatten bin der wahre
Ich bin ein end und ein beginn
Georges Ideal war es, eine "kunst für die kunst" zu schaffen. Eine
selbstständige Kunst. Eine absolute Kunst. Kann man als Mensch nach noch
Höherem streben als dem reinen, empfindungslosen Ideal? Nach jener grundlosen
(einheitlichen) Tiefe, welche nur die absolute Entsagung von jeglichem Profanen
verheisst?
Das Menschliche ist einem solchen Künster bloß bekannt. Die Kunst wird zur
Kunstreligion, und George zum Prophet und Überbringer; zum Verkünder einer
(Wieder-)geburt.
Verstand lebt in seinen Texten; mathematische Strenge. Da ist große
Ernsthaftigkeit und der Beweis der Wiederholbarkeit. Die Form ist alles, der
Sinn nichts. Georges scheint fast technisch geschrieben zu haben: als hätte er
den Text generiert.
Als hätte er sich erst die harten Instrumente geschaffen mit denen er dann
schrieb.
Das ist nicht übertrieben. Denn seiner Meinung nach ist jeder Künstler, der
noch etwas "sagen" oder "wirken" will (der also produzieren und gefallen will)
nicht einmal wert, in den "Vorhof" eines gedachten Tempels der Kunst
einzutreten. So beschreibt es George in Über die Dichtung; jedes "hadern" und
"vernünfteln" weise auf einen "noch ungeordneten denkzustand". Er meint also,
die Dichtung erhält ihren Wert nicht über den Sinn des Gesagten, sondern der
Form in der gesagt wird. George bezeichnet eine solche Form dann als "jenes
tief erregende in maass und klang"; und weiter: "Strengstes maass ist zugleich
höchste freiheit."
Auch das rein ästhetische Empfinden des Menschen hat er formalisiert.
Schönheit sei weder am Anfang noch Ende; sie sei "Höhepunkt".
Gegen die Künstler selbst geht er nicht weniger programmatisch vor. Er teilt
sie in Meister und solche "zweiter ordnung". Letztere sollten von der Kunst
ausgeschlossen bleiben. Dann zurrt er in Über die Dichtung seine Darstellung
noch einmal kräftig zusammen - überraschend, in goethe'scher Manier: jene Kunst
ergreift am meisten, befindet er, in der man das "atemholen neuer noch
schlafender geister spürt."
Der George-Kreis
Stefan George gründete den berühmt gewordenen "George-Kreis", dem er als
strenger, geistiger Führer vorstand. Die gemeinsame Stimme des Kreises waren
die Zeitschrift "Blätter für die Kunst". Der Kreis war eine bewußt
klein-gehaltene Gruppe streng aussortierter Anhänger, die ihr Gründer und
Erhalter als Schüler betrachte, die in eine neue, reinere, geistvollere Kunst
geführt werden sollten - die Ersten einer neuen Generation von Lyrikern. Er
trat gegen sie mit dem Anspruch auf Allwissenheit auf, d.h. alleine seine
Vorstellungen und Vorlieben galten.
Der Kreis war tatsächlich mehr als ein loses Bündnis denn als kreativer Zirkel
strukturiert. Da sich Künstler aus ganz Europa zu ihm zählten, konnte George
nicht immer zugleich auf seine Anhänger einwirken. So bildeten sich später
"äußere" und "innere" Kreise; nur die letzteren hatten direkten Kontakt mit
"dem Meister."
Frauen hielt George für künstlerisch unfähiger. Die wenigen, die Teil seines
Kreises sein durften, mussten unter männlichem Pseudonym veröffentlichen. Er
war sogar gegen die Vermählung seiner Anhänger; sogar gegen freundschaftliche
Bindung untereinander (es hätte seine Wirkungsmacht beeinträchtigt). Die von
ihm Erwählten sollten sich möglichst nur unter ihrem Synonym (es gab ein
Namensritual) kennen. Der Austausch persönlicher Situationen war verboten
(wenigstens solange der Meister zugegen war).
Der dichterische Verfall
Nach etwa 1914 bildete sich das Meister/Jünger-Verhältnis entgültig aus. Die
ihm Nächsten (der innere Kreis) sind seine Jünger; der Rest die Gläubigen. Der
"Meister" George hatte als einziger Zugang zum Heiligtum der Kunst. Georges
Wertung musste seinen Anhänger alles sein - und so setzte sein dichterischer
Verfall ein, und der Zerfall des Kreises. Doch Georges Denkart wirkt in
geisteswissenschaftlichen Disziplinen bis heute fort: seine Jünger haben sie
weiter getragen.
George sah die Kunst ganz allgemein als etwas Abgehobenes, als ein unfassbar
Elitäres: eine "Aristokratie." Doch - auch das schien ihm noch zu wenig! So
sah er sich schließlich als eine Art Prophet, eine Person mit
Sendungsbewußtstein. Er hatte eine Mission zu erfüllen.
So scheint es, als hätte Stefan George jene ästhetische Lyrik zu Beginn des
20. Jahrhunderts, die von Rainer Maria Rilke perfektioniert und stimmig
durchgehalten wurde, übertrieben. Ihm zerbrach sie. Nur das Ideal einer
absoluten Kunst blieb zurück - und stand, wie es schon vor ihm dastand. Er
sollte nicht der Erste oder Letzte sein, der sich daran abmühte, Gerüste um es
aufbaute es zu bemalen und zu begränzen. Doch Ideale wurde geschaffen
unzerstörbar zu sein - weil sie unantastbar sind.
Dennoch: wenn auch das Gerüst der Vorstellung zerfallen muß, was geht es uns
eigentlich an? Es ist und bleibt ohnehin nichts anderes als das
unvergleichliche Modell des Individuums der Welt. Gerade die Verse des frühen
Georges - und seine Übersetzungen - sind kunstvolle Dichtung. Sie gleichen den
abgefallenen, fertigen Früchten, denen man nichts ansieht außer: Frucht. Sie
sind nur Farbe, Form, Geschmack; die Kämpfe und Mühen ihrer Erzeugung sind nun
ganz (und besonders) unbedeutend. Das eben macht sie zur Kunst.
Wir fühlen dankbar wie zu leisem brausen
Von wipfeln strahlenspuren auf uns tropfen
Und blicken nur und horchen wenn in pausen
Die reifen früchte an den boden klopfen.
Kunst will gefallen. Wer Spaß an solch klaren Textmustern hat wird bei
George reichlich fündig.
Man kann das Bild des Kunstwerks als Frucht aber auch (fast diametral) anders
sagen, und es ist noch immer Kunst. Rilke, ein Zeitgenosse Georges, hat "reife
Früchte" beispielsweise wesentlich lebendiger (um nicht zu sagen: dramatischer)
in der Erinnerung: bei ihm "überschlägt" der Baum die Blüte in die Frucht, die
nicht einfach hervorkommt und da ist und klopft ... sondern sie "springt aus
dem Schlaf fast nicht erwachend, ins Glück seiner süßesten Leistung."
(Rilke, Duineser Elegien, Die sechste Elegie).
Werke
Die Werke von Stefan George: Hymnen (1890), Pilgerfahrten (1891), Algabal
(1892), Die Bücher der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und Sänge und der
hängenden Gärten (1895), Das Jahr der Seele (1897), Teppich des Lebens und
die Lieder von Traum und Tod (1899), Der siebente Ring (1907), Der Stern
des Bundes (1914), Der Krieg (1917), Das neue Reich (1928).
Siehe auch | ( ) |
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